https://www.kebbelvilla.de/ausstellungen/kira-kruger-es-ist-kein-geheimnis-aber/
Reflektieren und Rot sehen
Julius Jurkiewitsch
Rot ist die Farbe der Leidenschaft, Rot steht für Liebe und Erotik, für Wut und Aggression. Für Feuer, Blut, Wärme und Körperlichkeit. Rot ist Affekt. „Rot ist Selbstbehauptung um jeden Preis“, so Louise Bourgeois.* In Kira Krügers Arbeit Es ist kein Geheimnis, aber… ist die Innen- und Außenwelt des Ausstellungshauses rot eingefärbt und wird dadurch emotionalisiert, dramatisiert zu Hölle und Weltuntergang. Etwas spitzt sich zu, gleichzeitig bleibt die Fiktion peinlich bewusst, es ist nur eine Perspektive, Künstlichkeit, eine kitschige Atmosphäre, in deren rotes Licht wir getränkt sind. Vielleicht sogar ein Komplott gegen uns. Es ist ja bekanntlich eine Tatsache, jedes Kind weiß es und es ist kein Geheimnis, aber doch auch eine Sache der Perspektive, des Glaubens, der Wahrnehmung, der Interpretation, der Angst, des Wohlstands, der Herkunft, des Protests, ja, letztlich meiner und deiner launischen Willkür.
Im Dachgeschoss der Kebbel-Villa erinnern leere Reihen von Stühlen als dingliche Stellvertreter an ein menschliches Publikum, das Kunst braucht wie umgekehrt die Kunst oder der*die Künstler*in ein Publikum braucht, um gesehen zu werden, aber vielleicht gerade nicht hat, vielleicht sogar nie bekommt. Stühle für ein abwesendes Publikum, dass sich der*die Künstler*in in Empathie und Antizipation einbilden muss, um seine*ihre Kunst überhaupt machen zu können. Abwesenheit von Publikum kann auch bedeuten, dass Kunst im Begriff ist, ihre gesellschaftliche Bedeutung einzubüßen oder ihre Bedeutung bereits eingebüßt hat. Die rot folierten Fenster markieren die Bühne, sie sind die verbindenden Membrane zwischen architektonischer oder institutioneller Innen- und Außenwelt. Fenster, so könnte man blumig sagen, sind die Augen in die Seele eines Hauses. Fenster sind das romantische Motiv der Sehnsucht, sie erlauben den Blick ins Freie, in die Ferne, in die Weite der vor ihr liegenden Landschaft. Heute ist die Seele oftmals obdachlos und ohne Zuhause. Dennoch lässt Kira Krüger ihre Seele fliegen, schaut offen aus dem Fenster und lädt ein, in ihrem Kopf auf einem der freien Stühle Platz zu nehmen.
Worte bilden einen Raum neben dem anderen. Ihre Stimme flüstert uns die Eindrücke zu, die sie wahrnimmt, die Gedanken eines provinziellen Welttheaters, die sich einschleichen, anbieten, aufdrängen, die Worte, die sie aufschnappt, die sie anschreien, die in den Sinn kommen, unsinnig erscheinen, nicht weiterverfolgt werden, die aufgegeben oder vernachlässigt, die nicht wahrgenommen werden. Die surrealistische Methode der Écriture automatique trifft auf wohlkalkulierte Lyrik, Small Talk am Bahnsteig auf Tagebuch und Gassenhauer spiegeln die alltäglichen Schlagzeilen. Unbewusstes, Aufgeschnapptes, Erdachtes, Gelauschtes, alles flüstergefiltert. Der endlos fließende Stream of Consciousness, den einst die Moderne hervorbrachte, in der seither alles schleimig rekursiv vor sich hin brodelt. Schon früher waren Künstler*innen traditionell Orakel und auch heute sind sie noch ein Medium unbegreiflicherer Kräfte. Wenn man individuell wie gesellschaftlich oder global von einer Krise in die nächste taumelt und dabei sogar noch Unbewältigtes unterschlägt, ist Reflektieren durchaus wie Rot sehen. Und Kunst kathartisches Seelen-Striptease im Rotlicht einer Öffentlichkeit ohne Publikum.
Die Stimme flüstert, als ob sie ein Geheimnis erzählt oder sogar etwas Verbotenes. Wir müssen unsere Ohren darauf einstellen, wie wir unsere Augen an das Licht gewöhnen mussten, wie wir uns erlaubt haben, uns zu setzen. Die Stimme spricht etwas, was nur an uns gerichtet ist, was andere nicht hören sollen. Sie wirkt vertraut, auch beherrschend, bisweilen zu nah. Wir hören, was uns von ihr anvertraut wird, fühlen die Verbindung, den Voyeurismus, in einem anderen Kopf zu lauschen, gleichzeitig ahnen wir, dass hier eine Schwelle wankt, vielleicht stellt sich ein leiser Ekel ein. Ein Mensch überschreitet seine Grenzen, er dringt in die Welt vor, er wird durchlässig, wir können in ihn eintauchen, wir verschmelzen mit ihm in Erfahrung, ein fremder Geist, ein fremder Körper wird eigen, wird wieder Welt – wird Heimat und Sprache, so warm, so rot, Mutter, ekelhaft, einsam, tot. Die ortspezifische Installation Es ist kein Geheimnis, aber … vermittelt auf mehrschichtige Weise zwischen dem persönlichen wie architektonischen oder institutionellen Innen und Außen und markiert verschiedene Übergänge, um deren symbolische Konstruktion aufzuzeigen und uns die Möglichkeit zu geben, uns ein bisschen mehr von ihr zu emanzipieren, wieder Magma zu werden, sowohl fest als auch flüssig zu sein.
* Louise Bourgeois: Self-Expression is Sacred and Fatal. In: Christiane Meyer-Thoss: Louise Bourgeoise. Konstruktionen für den freien Fall. Zürich 1992. S.149.
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Reflektieren und Rot sehen
Julius Jurkiewitsch
Rot ist die Farbe der Leidenschaft, Rot steht für Liebe und Erotik, für Wut und Aggression. Für Feuer, Blut, Wärme und Körperlichkeit. Rot ist Affekt. „Rot ist Selbstbehauptung um jeden Preis“, so Louise Bourgeois.* In Kira Krügers Arbeit Es ist kein Geheimnis, aber… ist die Innen- und Außenwelt des Ausstellungshauses rot eingefärbt und wird dadurch emotionalisiert, dramatisiert zu Hölle und Weltuntergang. Etwas spitzt sich zu, gleichzeitig bleibt die Fiktion peinlich bewusst, es ist nur eine Perspektive, Künstlichkeit, eine kitschige Atmosphäre, in deren rotes Licht wir getränkt sind. Vielleicht sogar ein Komplott gegen uns. Es ist ja bekanntlich eine Tatsache, jedes Kind weiß es und es ist kein Geheimnis, aber doch auch eine Sache der Perspektive, des Glaubens, der Wahrnehmung, der Interpretation, der Angst, des Wohlstands, der Herkunft, des Protests, ja, letztlich meiner und deiner launischen Willkür.
Im Dachgeschoss der Kebbel-Villa erinnern leere Reihen von Stühlen als dingliche Stellvertreter an ein menschliches Publikum, das Kunst braucht wie umgekehrt die Kunst oder der*die Künstler*in ein Publikum braucht, um gesehen zu werden, aber vielleicht gerade nicht hat, vielleicht sogar nie bekommt. Stühle für ein abwesendes Publikum, dass sich der*die Künstler*in in Empathie und Antizipation einbilden muss, um seine*ihre Kunst überhaupt machen zu können. Abwesenheit von Publikum kann auch bedeuten, dass Kunst im Begriff ist, ihre gesellschaftliche Bedeutung einzubüßen oder ihre Bedeutung bereits eingebüßt hat. Die rot folierten Fenster markieren die Bühne, sie sind die verbindenden Membrane zwischen architektonischer oder institutioneller Innen- und Außenwelt. Fenster, so könnte man blumig sagen, sind die Augen in die Seele eines Hauses. Fenster sind das romantische Motiv der Sehnsucht, sie erlauben den Blick ins Freie, in die Ferne, in die Weite der vor ihr liegenden Landschaft. Heute ist die Seele oftmals obdachlos und ohne Zuhause. Dennoch lässt Kira Krüger ihre Seele fliegen, schaut offen aus dem Fenster und lädt ein, in ihrem Kopf auf einem der freien Stühle Platz zu nehmen.
Worte bilden einen Raum neben dem anderen. Ihre Stimme flüstert uns die Eindrücke zu, die sie wahrnimmt, die Gedanken eines provinziellen Welttheaters, die sich einschleichen, anbieten, aufdrängen, die Worte, die sie aufschnappt, die sie anschreien, die in den Sinn kommen, unsinnig erscheinen, nicht weiterverfolgt werden, die aufgegeben oder vernachlässigt, die nicht wahrgenommen werden. Die surrealistische Methode der Écriture automatique trifft auf wohlkalkulierte Lyrik, Small Talk am Bahnsteig auf Tagebuch und Gassenhauer spiegeln die alltäglichen Schlagzeilen. Unbewusstes, Aufgeschnapptes, Erdachtes, Gelauschtes, alles flüstergefiltert. Der endlos fließende Stream of Consciousness, den einst die Moderne hervorbrachte, in der seither alles schleimig rekursiv vor sich hin brodelt. Schon früher waren Künstler*innen traditionell Orakel und auch heute sind sie noch ein Medium unbegreiflicherer Kräfte. Wenn man individuell wie gesellschaftlich oder global von einer Krise in die nächste taumelt und dabei sogar noch Unbewältigtes unterschlägt, ist Reflektieren durchaus wie Rot sehen. Und Kunst kathartisches Seelen-Striptease im Rotlicht einer Öffentlichkeit ohne Publikum.